„Aus“ für Inklusion

Neues Konzept des LVR bedeutet das Ende von Therapie in integrativen Einrichtungen

Logopädin Christine Ulbig betreut die Kinder ganztägig und kann sofort reagieren, wenn Probleme auftreten.

Siegburg. „Wir tragen die Integration zu Grabe – Inklusion als Sparkonzept des Landschaftsverbandes Rheinland!" Das klingt als Aussage zwar drastisch, trifft jedoch exakt zu, was den integrativen Einrichtungen und Gruppen ab 2015 blüht.

In der Sitzung des Landesjugendhilfeausschusses am 14. November 2013 will der Landschaftsverband Rheinland (LVR) ein neues Konzept zur „Förderung von Kindern mit Behinderung und Kindern, die von einer Behinderung bedroht sind, in Kindertagesstätten" beschließen. Dieses „8-Punkte-Programm", das sich vom Titel recht positiv anhört, beinhaltet allerdings die Streichung und Einbußen in verschiedenen Bereichen. Unter anderem werden Verpflegungskosten und Elternbeiträge nicht mehr bezahlt, sowie die befristete Anerkennung des Förderbedarfs durch das Kreissozialamt. Doch ein Thema bringt die integrativen Einrichtungen auf die Barrikaden: Die Finanzierung einer therapeutischen Kraft pro integrative Gruppe wird nicht mehr übernommen. Der LVR weist darauf hin, dass die Zuwendung seit 1983 auf freiwilliger Basis geschieht. Die Behörde erwartet nun durch das neue Programm eine Einsparung von 65 Millionen Euro – auf Kosten der Kinder. Deshalb rief die Jugendbehindertenhilfe Siegburg/Rhein-Sieg und die Elterninitiative Murkel zu einer Pressekonferenz in die Kinderburg Veronika Keller. Unter den Teilnehmern befand sich Bürgermeister Franz Huhn, Dezernent Andreas Mast und der Leiter des Jugendamtes Heinz-Walter Pütz. Kurz wurden die Auswirkungen dieses Einschnittes deutlich gemacht. Ohne die Beiträge des LVR sind die jährlichen Kosten von 155.000 Euro für die Therapeuten der Kinderburg und der Kindertagesstätte „Die kleinen Strolche" nicht zu stemmen. Doch wenn die Therapeuten entlassen werden müssen, wer begleitet dann den Nachwuchs während des Tages? Pädagogen und Erzieher können aufgrund fehlender Fachkenntnisse diese Aufgaben nicht übernehmen. Externe Kräfte haben nicht die Zeit und Kapazität, die rund 20 Kinder mit Förderbedarf in dem Umfang zu betreuen, wie es erforderlich wäre. Nelja Bartel und Susanne Pohlscheidt, Eltern von behinderten Kindern, erzählten auf eindrucksvolle Weise von den positiven Entwicklungen ihres Nachwuchses. Wichtig ist es, dass die Kinder die Therapie nicht als solche wahrnehmen, sondern gemeinsam mit anderen als eine Spielsituation sehen. So werden Probleme im Ansatz erkannt und abgestellt, bevor sie auftreten. „Hier wird das Fundament gelegt, damit die Kinder in die Grundschule gehen können", so Susanne Pohlscheidt. Ohne finanzielle Unterstützung des LVR müssten die Erziehungsberechtigten wieder Therapieeinheiten beantragen und am späten Nachmittag mit ihrem Sprössling zu separaten Sitzungen fahren. Ob das müde Kind, das lieber spielen will, die Behandlung annimmt ist letztendlich fraglich. „Dann bestimmt wieder die Krankheit unser Leben. Jetzt haben wir ein großes Stück Normalität." Nelja Bartel gibt ein eindrucksvolles Resümee über die Erfolge in der Kinderburg. Ihr Sohn kam im Alter von 24 Monaten in die Einrichtung, unter anderem mit Schluckstörungen. „Die Ärzte empfahlen mir, dass wir uns jahrelang auf pürierte Kost einstellen sollten." Nach sechs Wochen konnte der Junge selbstständig kleine Brote zu sich nehmen. „Er ist heute stolz darauf, gemeinsam mit den anderen essen zu können", erzählte sie. An diesem Beispiel wird deutlich, dass das Konzept der Kinderburg erfolgreich funktioniert. Das ist nun in Gefahr. Bürgermeister Franz Huhn hat den Einrichtungen volle Unterstützung zugesagt „Wir sind stolz darauf, dass Siegburg für jedes Kind mit Förderbedarf einen Platz hat. Wir haben damals schon gesagt, Kibiz ist Mumpitz und dann ist es nachgebessert worden. Jetzt müssen wir uns wieder auf den Weg machen." So rief er alle Bürger und Politiker auf, sich an dem Protest zu beteiligen. „Über eine Handvoll Leute lacht die Politik", erklärte er. Bereits Mitte Juni verfasste die Stadt Siegburg eine Resolution an das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW. Diese wurde im August zurückgewiesen, mit der Bitte sich an den LVR zu wenden. Man möchte mit dem neuen „Konzept" die Zuständigkeit an die Krankenkassen weitergeben, die sich zurzeit vehement wehren. Durch den Beschuss wäre die JBH oder auch Murkel gezwungen, selbst mit den Kassen zu verhandeln. Der anfallende Verwaltungsaufwand kann von einem kleinen Träger nicht geleistet, und ebenso können keine Kooperationsverträge abgeschlossen werden, wie Spitzenverbände dies im Regelfall durchführen. Dass ab 2015 Einschnitte zu erwarten sind, ist jedem klar. JBH-Geschäftsführer Jörg-Peter Schlieder brachte es kurz auf den Punkt: „Wir wünschen uns, in Dialog mit dem LVR zu treten, um nach praktikablen Lösungen zu suchen."

 

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